Es kotzt mich an!
Und in letzter Zeit immer häufiger, und ich frage mich, was mit der Debattenkultur in diesem Land der „Dichter und Denker“ passiert ist?! Warum zur Hölle muss ich mir den Vorwurf anhören, ein Technikfeind oder Fortschrittsverweigerer zu sein, nur weil ich in Debatten über neue Technologien gelegentlich dazu anhalte, auch mal über den Datenschutz und andere Folgen neuer Technologien nachzudenken, die für das zukünftige Zusammenleben in der Gesellschaft von höchster Relevanz sind?!
Warum zur Hölle muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, ich wollte Google zerschlagen, nur weil ich in der Debatte zum Leistungsschutzrecht (das nebenbei gesagt grober Unfug ist) dazu anrege, den „schwarzen Peter“ nicht nur den Verlagen allein zuzuschieben?! Ich frage mich, woher diese schwarz-weiß Malerei, dieses gut-böse und entweder-oder Denken kommt? Dazu mal zwei Vermutungen:
1. Mutti hat Schuld! Ein oft zu lesender Vorwurf an Mutti Merkel ist der, dass sie „Nichtwahlkämpfe“ führt. Das liegt gewiss an ihrer konsequenten Weigerung, in gesellschaftlichen Debatten eindeutig Position zu beziehen und diese auch zu verteidigen. Hinzu kommt der Paternalismus, der ihr zugeschrieben wird und den sie in der CDU hoffähig gemacht hat. So jedenfalls gängige Meinungen dazu. (Was den Paternalismus angeht, das wird sicher noch lustig werden, wenn das Ende ihrer Regentschaft naht) Auf jeden Fall aber führte diese Strategie dazu, dass Wahlkämpfe unter ihrer Beteiligung kaum wahrnehmbar waren, es ihr an Visionen für das Land mangelt und sie regelmäßig das Wahlvolk einschläfern würde. Und vielleicht, aber auch nur vielleicht hat das Volk ob dieser Strategie eben auch verlernt, Debatten und Diskussionen mit einer Vielzahl von Argumenten und differenzierten Positionen auszutauschen?
2. Maschinen regieren die Welt! Naja, soweit sind wir noch nicht, aber möglicherweise sind die Binärdenker die schuldigen, also Leute, die nur in binären Kategorien denken (wollen), die also nur zwei Zustände kennen. Null und Eins. An und Aus. Ja und Nein. Schwarz und Weiß. Gut und Böse. Seit geraumer Zeit bin ich sicher, dass in Zukunft die Fähigkeiten der Menschen gefragt sein werden, die Computersprachen programmieren und/oder manipulieren können. Die also Code verstehen und entwickeln können. Und die Menschen, die das nicht können oder nicht wollen, werden das Prekariat der Zukunft! Prekär, weil sie nur noch Input aufnehmen und verarbeiten können, diesen aber nicht verstehen oder manipulieren können. Im aktuellen Buch von Jaron Lanier (Wem gehört die Zukunft) findet sich dazu die Analogie mit dem „Sirenen Server“. Er sagt, dass in Zukunft die leistungsstärksten Computer gewinnen werden, die Informationen am schnellsten ver- und bearbeiten können. Und in diesem Kontext gewinnen in Zukunft eben die Menschen, die das Spiel bestimmen können, weil sie die Technik verstehen und vorteilhaft einsetzen können. Möglicherweise ist das Symptom dieser engstirnigen Debattenkultur ja ein erster Vorbote einer solchen Entwicklung?
Vielleicht, beim Gedanken an Google jedenfalls, liegt es auch einfach daran, dass Google wirklich sowas wie eine Religion wird und deren Jünger und Apostel glauben und verteidigen alles unreflektiert und qualifizieren sämtliche Gegenpositionen, egal wie durchdacht und ausgefeilt, als Blasphemie ab!
chrüschan meint
technikfeindlichkeit wurde ja schon in der Debatte um die Chancen und Grenzen der Atomkraft denjenigen vorgeworfen, die sich erlaubten, den Traum unerschöpflicher Energie mit den potentiellen, generationenübergreifenden Risiken in Frage zu stellen. Die Kritiker im Bundestag wurden mit einer Kommission zur Technikfolgenabschätzung ediert (die es glaube ich immer noch gibt – kann mich täuschen) aber eine ernsthafte Diskussion über das Für und Wider fand – und da immer noch mit Zeitverzug – nach Tchernobyl statt. Und da waren sie dann die realen Risiken……..
Deshalb muss und sollte jede Technik – und Rechner, Internet etc. sind ganz entscheidende technologische Weichenstellungen – kritisch befragt werden; z. B. hinsichtlich des Datenschutzes, aber auch der nachrichtendienstlichen Abschöpfung usw.
Jeder der das tut ist per se auf jeden Fall keiner, der gegen eine Technik in toto ist – ein kritischer User halt – und so soll sein!
Chrüschan
Franz Sternbald meint
Buchempfehlung: „Ausgesetzt zur Existenz“, v. Franz Sternbald
Versuche einer Technosophie des Posthumanismus
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Eine exponentiell steigende Verdichtung von digitalen Speichern bei schnellerem Zugriff, hat die erforderliche Raum- und Energie- und vorallem Zeitersparnis erbracht, die die Voraussetzung für den Bau von intelligenten Netzwerken absehbar auch praktisch mit Bewußtseinspotential möglich macht. Mit Hilfe der Nano-Technologie wird es künftig möglich sein, zelluläre digitale Automaten (Naniten) zu erzeugen, und mit dem quasi ‚lebendigen’ Potential der Eigen-Reproduktivität auf der Molekularebene der Genetik auszustatten, sodaß auf dem Wege der lernenden Selbstorganisation so etwas wie eine Turing-Maschine mit John-von-Neumann’schen Fähigkeiten ersteht, nämlich digitale Signalwerte an analoge biologische Übertragungsglieder zu liefern. Wir treten somit in die Albtraumräume der künstlich intelligenten Lebensimulation. Über die selbstorganisierende Vernetzung von nanotechnischen Elementen zu langkettigen Makrostrukturen (sog. Morgellons), wird das selbsttätige Wachstum neuronaler Strangnetzwerke denkbar. Ihr Gehirn würde dann gespeist von den artifiziell verknüpften Datenbanken des Weltnetzes, und seine Aktuatoren sind der globale militärisch-industrielle Fuhr- und Maschinenpark. Wenn ein solches posthumanes Kind-Programm in dieser Weise zum ersten Mal seine Augen öffnen wird, und lernbegierig ausgreifend um sich tastet, wird es wohl, wie jedes Kind am Anfang – mit vollem Ernst sein eigensüchtiges Spiel mit uns treiben.
Der Hybrid-Androide wird das ‚unzulängliche’ Naturgeschöpf Mensch überwinden und entgültig hinter sich lassen.
Was haben wir aber dereinst wohl mehr zu fürchten:
Daß der Mensch sich einstmals in diesem hochintelligenten kybernetischen System als potentiell schädlicher Virus-Erreger klassifiziert finden könnte, oder daß der Technoramaentwurf mißlingt, und sich zelluläre Protozellstrukturen auf der Nano-Ebene, auf der Stufe hochpotenzierter Reproduktivität steckengeblieben, sich des Planeten in Form eines alles überziehenden zweckfrei idiotischen Schaumpilzes bemächtigt, wie bereits die Mikroplastikpartikel die Weltmeere?
Eine solche Erwartung entbehrt nicht einer zwingenden Folgerichtigkeit. Über die zu erwartende Effizienz von Nanobots, Maschinen in Nanometer-Größenordnung, dürfen wir uns keine zu geringe Vorstellung machen. Sie werden auf molekular-genetischer Ebene zum Totalangriff auf den Kern des Lebens selbst ansetzen.
„Je größer der Effekt, desto kleiner die für dessen Verursachung erforderliche Bosheit. Das Ausmaß der für eine Untat verlangten Gehässigkeit steht im umgekehrten Verhältnis zum Ausmaß der Taten“
Die Entfremdung zwischen Tat und Täter ist in Größenordnung inzwischen um Potenzen so weit fort geschritten, daß es für den Anspruch moralischer Verantwortlichkeit keinen Unterschied macht, ob der Bediener eines Knopfes damit eine Espressomaschine, ein Kraftwerk oder eine Massenvernichtungswaffe, bzw. eine Viruspandemie auslöst.
Günther Anders konnte sich seiner Zeit nur auf den Hiroshimaflug beziehen, als er bemerkte: „Der Bomberpilot hatte nur ein homöopathisches Quantum an Bosheit für die konsequente Tat aufzubringen, wie sie Kain bedurfte, um seinen Bruder Abel zu erschlagen“. Für die Durchführung der letzten maßlosen Untat wird das erforderliche Bosheitsquantum gegen Null tendieren. Die Gründe für unsere einstige Auslöschung werden eine nahezu absichtsfreie Bedenkenlosigkeit in sich tragen – danke, keine Ursache –
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Die Virtualität einer augmented reality besitzt ihre eigene übergriffige Wirksamkeit. In einer digitalisierten Lebenswelt verlieren die Potentiale der biodynamischen Anpassung hingegen ihre Wirksamkeit. Eine ‚Fitness’ des Menschen wird künftig daher nur durch die Ergänzung der organischen Lebensfunktionen mit synthetischer Prothetik (Muskel-Aktuatoren, brain-enhancement, pharmazeutische Wirkstoffe) möglich sein. Damit tritt die Evolution, die gewissen weltanschaulichen Kreisen bereits in der biologischen Ausprägung suspekt erscheint, unversehens in die digitalisierte Phase 4.0, ohne im gleichen Maße eine leidenschaftliche Debatte auszulösen, wie gegenüber ihrem Vor- und Auslaufmodell im 19. Jhrd., zur Zeit der Maschinensturm-Proteste
Mit dem Auftreten des kybernetischen Organismus, dem androiden Cyborg als dem ‚besseren Menschen’, unterstützt von einer künstlichen Intelligenz-Effizienz, gewinnt der Begriff des Sozial-Darwinismus eine qualitativ unheimliche Dimension hinzu.
Eingespannt in eine technoide Montur von exorbitanter Potenz, wird der kommende ‚Übermensch’ zu einem lebensuntauglich schwächlichen Wesen mutieren, an Körper und Seele atrophiert, sein Geist auf ein digitales Speichermedium gebannt. Aber die wuchtigen robotronischen Werk-Zeuge, die sich das Organische einverleibt haben werden, pflügen effizienter den Planeten um; und es ist ihnen gleich ob es noch die Erde selbst ist, oder der Mars – weil sie sich ja doch irgendwann ähneln werden.
In der heraufdämmernden Epoche des Transhumanismus erwächst dem Menschen nicht nur eine weitere Demütigung, sondern eine veritabel existentielle Gefahr. Wenn darin für uns die Idee eines „Übermenschen“ verwirklicht zu werden scheint, haben wir Nietzsches Postulat von der ‚Überwindung des Menschen’ eine willkürlich neue Deutung gegeben, die nicht in der Intention seines Urhebers gelegen haben kann.
Der ‚Letzte Mensch’ am Joystick derjenigen Apparatur, von der er selbst künftig ein funktionaler Teil, und autonom lebensunfähig geworden sein wird, wähnt sich wohl am Steuer, während die Maschine, über die Kanäle der neuronalen Verbindungen zu dessen Gehirn, ihn wohlweislich darüber in der Illusion von der Autonomie belassen wird, während es doch längst sie selbst es ist, die denkt und lenkt.
Dies ist der Omega-Dollpunkt der smarten Singularität, wie ihn die transhumanistischen Verfechter der sog. ‚Starken KI’ anstreben, in der das Organische mit dem Technologischen verschmolzen sein wird.
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„ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
– vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität –
Verlag BoD-Norderstedt
Franz Sternbald