Seit nunmehr einer Woche vergeht kein Tag, an dem nicht in irgendeinem Medium die angebliche „Zerschlagung“ von Google klickgierig verschlagzeilt wird. Gestern (27.11.2014) hat das EU-Parlament den nicht bindenden Entschließungsantrag zur Stärkung der Verbraucherrechte im digitalen Binnenmarkt mehrheitlich angenommen und das Geschrei um eine Zerschlagung des Internetriesen ist riesig. Dabei wird bisweilen so getan, als sei die Zerschlagung beschlossene Sache und es gäbe Google in ein paar Wochen nicht mehr. So hat etwa Marcel Schrepel in seiner Dystopie einen Ausblick in das Jahr 2018 gewagt, die zwar spannend zu lesen ist, aber selbst unter der Annahme, dass Google nicht mehr existiert, kaum eintreten dürfte. Viktor Dite hat in seiner amüsanten Satire, unter Verweis auf die Selbstheilungskräfte des Marktes, einen Zusammenbruch digitaler Strukturen in Aussicht gestellt.
Dabei sprechen die Fakten dagegen
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Ich denke, es ist an der Zeit, wieder runterzukommen und mal einen kleinen Blick auf die Fakten zu werfen und die sprechen eine ganz andere Sprache. So ist in dem Entschließungsantrag des EU Parlamentes gar nichts von Zerschlagung zu lesen, selbst mit viel satirischem Augenzwinkern nicht, denn in dem entsprechenden Paragraphen steht, Zitat:
…weist darauf hin, dass der Markt der Online-Suche von besonderer Bedeutung für die Wahrung der Wettbewerbsbedingungen im digitalen Binnenmarkt ist, da Suchmaschinen sich zu Gatekeepern entwickeln und über die Möglichkeit verfügen können, die bezogenen Informationen kommerziell weiter zu verwerten; fordert die Kommission daher auf, die Wettbewerbsregeln entschlossen durchzusetzen, die anhand der Beiträge sämtlicher einschlägiger Interessenträger erstellt wurden, und die gesamte Struktur des digitalen Binnenmarkts zu berücksichtigen, damit Lösungen ermittelt werden, die tatsächlich Verbrauchern, Internetnutzern und Online-Unternehmen zugutekommen; fordert die Kommission darüber hinaus auf, Vorschläge in Betracht zu ziehen, die darauf abzielen, Suchmaschinen von anderen kommerziellen Dienstleistungen abzukoppeln, da dies ein langfristiges Mittel sein kann, die vorstehend genannten Ziele zu erreichen
…betont, dass bei der Nutzung von Suchmaschinen der Suchvorgang und die Suchergebnisse frei von Verzerrungen sein sollten, damit die Internetsuche frei von Diskriminierung bleibt, mehr Wettbewerb und Auswahl für Nutzer und Verbraucher sichergestellt werden sowie die Vielfalt an Informationsquellen erhalten bleibt; stellt daher fest, dass die Auflistung, Bewertung, Darbietung und Reihenfolge von Ergebnissen bei Suchmaschinen frei von Verzerrungen und transparent sein und dass Suchmaschinen bei verknüpften Dienstleistungen umfassende Transparenz gewährleisten müssen; fordert die Kommission auf, jeglichen Missbrauch bei der Vermarktung von verknüpften Dienstleistungen durch Suchmaschinenbetreiber zu unterbinden
Es geht also im Kern um Transparenz bei der Anzeige von Suchergebnissen und wohl in erster Linie um die Vermischung von organischen Suchergebnissen und bezahlten Werbeanzeigen oder anderen Dienstleistungen. Und da wird der EU-Kommission die Trennung von Suchmaschine und anderen Dienstleistungen nahegelegt. Ergo dreht es sich hier nicht grundsätzlich um Google, sondern um Internet Suchmaschinen im Allgemeinen, also auch um Bing, Amazon, Duckduckgo und all den anderen. Konkret auf Google bezogen bedeutet das auch nicht den Untergang des Internetabendlandes, sondern nur, dass die Google Suche und die anderen Google Produkte wie G-Mail, Youtube, Google Plus etc. nicht unter einem Dach firmieren dürfen und Google die Informationen, die sie durch ihre anderen Dienstleistungen über Nutzer generieren, nicht mehr wie bisher für die Internetsuche verwenden dürfen. Von einer Google Zerschlagung oder der Offenlegung der Suchalgorithmen kann doch da keine Rede sein!
Google hat eine marktbeherrschende Stellung
Für mich besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass Google eine marktbeherrschende Stellung hat, ob man das nun Monopol nennen will oder nicht, ist dabei ohne großen Belang. Denn ich sehe in Google eben nicht nur die Internetsuchmaschine, sondern Google als Ganzes, als einen eigenen Kosmos aus Werbeflächen, mobilen Systemen, Internetprovider, social media Kanal und Heimvernetzer und vieles mehr, wie ich unter dem Stichwort Google als Religion schon geschrieben habe. Letztlich sehe nicht nur ich das so, sondern auch die oben angesprochenen Kommentatoren, die bei der Nachricht über die Aktivitäten der EU-Parlamentarier eben zuerst an Google und nicht an andere Netzgiganten denken. Nach meiner Auffassung einmal mehr ein Beleg dafür, wie sehr Google unser aller Leben bereits jetzt durchdrungen hat.
Und wenn man der These folgt, führt das in der Konsequenz zu der Schlussfolgerung, dass Google nicht Einen, isoliert zu betrachtenden Suchmarkt dominiert, sondern viele Märkte mehr oder weniger stark von Google beherrscht werden. Das bedeutet dann auch, dass die Selbstheilungskräfte des „Marktes“ hier nicht mehr funktionieren können, denn es gibt in dem Fall nicht diesen einen Markt! So sehr ich als liberal denkender Mensch, Viktors These, dass sich Politik raushalten möge, auch teile, so sicher bin ich, dass es ohne regulatorischen Eingriff nicht mehr funktioniert.
Betrachtet man die Produkte und Dienstleistungen isoliert, also etwa nur die Suchmaschine, ist es nur logisch anzunehmen, dass ein besserer Marktteilnehmer jederzeit die Chance hat, sich gegen Google zu behaupten. Genauso ist es richtig, dass es uns allen unbenommen ist, alternative Suchmaschinen zu nutzen. Das gilt keineswegs nur für Nutzer und Kunden, sondern auch für Werbetreibende und Vermarkter, wie Karl Kratz mit seinem Appell zur Diversifizierung richtig angemerkt hat. Und wenn man die Dystopie von Marcel teilt, ist nach meiner Meinung genau die von Karl angesprochene Diversifizierung die logische Folge daraus und nicht der Zusammenbruch des Online Marktes oder SERPs voller Malware und manipulativer Ergebnisse.
War sonst noch was?
Ach ja, natürlich ist die Entstehungsgeschichte dieser ganzen Story durchaus amüsant. Vor allem auch, weil klar wird, dass das Ansinnen zu dem Entschließungsantrag wohl maßgeblich aus der Ecke der, sich von Google benachteiligt fühlenden, Verlage, Medienhäuser und konservativer Leute kommt, wie der „Grüne“ EU-Parlamentarier Michel Reimon in seinem Blogbeitrag beschrieben hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt 😉 Was ich zu diesem Thema etwa auch bei Facebook lesen konnte, war schon sehr erheiternd. Da gibt es echt Leute, die meinen sich besser von Google regieren zu lassen, als von den Parlamentariern. Von einer Firma, die nicht wie Marcel schreibt, alles für den Nutzer tut, sondern deren Primärinteresse das Geld Verdienen ist, weil die Besitzer, also die Aktionäre und Investoren genau das erwarten! So, nun ist aber auch erstmal gut, ich freue mich auf deine Gedanken, kritische Kommentare und Anmerkungen, denn hier gilt: Provozieren regt zum Denken an!
Roland Engert meint
Das ist nicht der Untergang des Abendlandes. Dass SEOs, oder Leute die ihr ganzes Tun nach Google ausrichten es nicht gerne sehen wenn an Google gerüttelt wird ist klar. Vielleicht gibt es auch Sorgen um einen selbst geschaffenen SEO Arbeitsplatz.
Allerdings muss man sagen dass Google auch eine ganze Menge an Arbeitsplätzen oder Einkommen vernichtet hat.
Im Grunde ist es nur zu begrüßen dass man versucht Google auszubremsen. Wenn es auch andere Suchmaschinen betrifft, so ist der Anlass doch Google.
Wenn Google jammert wenn die EU ein „Penguin“ gegen Suchmaschinen fährt so sollte gerade Google doch daran gewöhnt sein dass sich Spielregeln andauernd verändern. Und wenn mit diesen neuen Spielregeln Gelder umverteilt werden und nicht mehr zu Google fließen so hat sie halt jemand anderes. Vielleicht erfährt dann Google wie es ist wenn man von Einnahmen abgeschnürt wird (hat ja wohl einige Firmen erwischt).
Auch dass alles was Google macht nur dem Nutzer und den besten Suchergebnissen gilt ist eine Mär. In erster Linie steht die Zensur die Staaten auferlegen. Diese werden eingehalten weil man Geld verdienen will. Erst dann, wenn beides erfüllt ist, widmet man sich den Suchergebnissen. Diese sind allerdings seit Wochen schlechter geworden, meiner Meinung nach.
Bastie Wendt meint
Du triffst genau ins Schwarze Roland, einen „Penguin“ gegen Google starten 😉 der ist wirklich gut und vor allem ist es völlig korrekt, wenn du schreibst, dass Google mit Änderungen an den Spielregeln leicht umgehen können sollte. Und wetten, selbst wenn sich die EU-Kommission des Antrages annehmen sollte (was ich jetzt noch nicht sehe) dann wird Google ganz sicher ziemlich schnell drauf reagieren und der Nutzer wohl wenig bis gar nichts bemerken.
Und danke für den Punkt mit der Zensur. Ich habe mit dem Begriff immer ein wenig Schwierigkeiten, weil der so negativ konnotiert ist, aber letztlich ist es völlig richtig, dass Google (und die meisten anderen Suma’s auch) mit der Suche eine Art gefilterte Realität servieren, eben weil sie, wie die Antragsteller schreiben, ein „Gatekeeper“ ins Netz sind, was letztlich die große Relevanz dieser ganzen Thematik für Nutzer ausmacht. Das hatte ich im Kopf, ist mir beim Schreiben aber durchgerutscht, Kopf wie ein Sieb eben 😉