Es ist unausweichlich! Wir werden alle Borg werden! Widerstand ist zwecklos! Dieser leicht veränderte Satz wird jedem Star Trek Insider ein Begriff sein, und zwar einer der wenig amüsanten Sorte. Die Borg, eine kybernetisch-kollektivistische Spezies, die die Galaxie in ihren Kuben mit Transwarp Geschwindigkeit durchstreift, und sich dabei jeder unterlegenen Spezies durch Assimilation in das Borg-Kollektiv bemächtigt. Die Assimilation erfolgt dabei durch das gewaltsame Injizieren winziger Nanosonden, die jedes Individuum einer anderen Spezies sodann zu kybernetischen Lebensformen verwandeln. Im Falle der Borg geschieht die Assimilation gegen den (zwecklosen) Widerstand der Opfer, in „The Circle“ hingegen nicht, hier lassen sich die Individuen freiwillig in den „Circle“ integrieren.
Der Circle von Dave Eggers – Eine Rezension
Aber schauen wir uns zunächst an, um was es hier eigentlich geht. Ich habe mir, nachdem das Buch in den Vereinigten Staaten kontroverse Debatten ausgelöst hat, den Roman „Der Circle“ von Dave Eggers gekauft (Wer es genau wissen will: 2. Auflage, erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag in Köln, ISBN 978-3-462-04675-6, 2014). Dave Eggers erzählt in seinem Werk – das in unmittelbar bevorstehender Zukunft spielt – die Geschichte seiner 24-jährigen Hauptfigur Maebelline Renner Holland, kurz Mae, und ihrem Eintritt und Aufstieg in eine Firma namens „Circle“, die, wie könnte es anders sein, in Kalifornien nahe San Francisco, dem Techdorado aller Nerds, angesiedelt ist. Für Mae, die nach dem College Abschluss für die Stadtwerke ihrer heimatlichen Kleinstadt tätig war, ist der „Circle“ das Utopia schlechthin. Ein innovativer Internetkonzern mit riesigem grünen Campus, modernen, gläsernen Büros, kostenlosem Essen von Sterneköchen zubereitet, jeden Abend Party und Lustbarkeiten, kostenlosen Konzerten, Golf- und Tennisplätzen und Wohnheimzimmer für die Circler und ihre Gäste und Besucher (Die sich unweigerlich aufdrängende Analogie zu Google dürfte kein Versehen des Autors sein). All dies kann der Circle bezahlen, weil die Firma die Geschäfte von Google, Facebook und Twitter gekauft hat. Denn der Circle hat es geschafft, allen Nutzern eine einzigartige Internetidentität namens „TruYou“ zu verschaffen. Diese Netzidentität hebt Anonymität und Privatsphäre komplett auf, jeder User hat genau einen Account beim Circle, durch den alles gesucht, bestellt, bezahlt und, ganz wichtig, geteilt und verfolgt werden kann. Die Prämisse des Circle ist:
ALLES WAS PASSIERT MUSS BEKANNT SEIN!
Mae, die den Job nur durch ihre beste Kommilitonin Annie, die eine große Nummer beim Circle ist, erhalten hat, geht in ihrem neuen Traumjob voll auf und wird, nach anfänglichen Schwierigkeiten durch ihre mangelnde Partizipation, zu einer Vorzeigemitarbeiterin und das vor allem, weil sie die Prämisse des Circle auf die absolute Spitze treibt. Dabei ist der Roman durchsetzt von Schlüsselmomenten, jedenfalls für mich, die beim Lesen immer wieder die dringende Frage aufkeimen lassen, warum zum Teufel Mae nicht sofort wieder aussteigt. Etwa in der Szene, als sie in das Büro des unmittelbaren Vorgesetzen zitiert wird und sich bei einem sozialautistischen, zutiefst gekränkten Nerd dafür entschuldigen muss, dass sie seinem Portugal-Brunch nicht beiwohnte.
Die Passage hat anfangs eher komische Züge, da wird sie also zum Chef zitiert, anwesend ist auch der beleidigte Nerd und Mae solle anfangen, sich zu rechtfertigen. Dabei weiß sie nicht mal warum eigentlich? Der Chef kennt die Macken des Programmiergenies („Nicht zu fassen“ findet der ihr Verhalten) und sucht zu vermitteln. Bis sich schließlich heraus stellt, dass auf dem ehemals privaten Laptop von Mae, dessen vollständiger Inhalt bei Jobantritt komplett in die Circle Cloud gespiegelt wurde, Bilder aus Portugal gefunden wurden. Und gemäß der Prämisse des Circle, steht der Inhalt der Cloud damit allen Circlern zur Verfügung, also auch dem eingeschnappten Genie. Der hat die Portugal Bilder der Besitzerin zuordnen können und sie daraufhin zu seiner Veranstaltung, in einem der unzähligen Feeds oder social media Kanäle eingeladen und ist über ihr Nichterscheinen zutiefst beleidigt. Dumm dabei, dass Mae den Feed in dieser schier endlosen Flut aus Nachrichten, Arbeit, Feeds, Zings, Smilies, Frowns und Kommentare gar nicht wahrgenommen hat. Und dafür muss sie sich entschuldigen. Nach dem Motto, sie kann doch nicht Interesse an Portugal haben, (was sie im Grunde gar nicht hat, sie hatte nur ein paar Bilder auf dem Laptop) und dann nicht zu dem Brunch erscheinen.
Dave Eggers zeichnet das Bild einer intelligenten jungen Frau, auf der Suche nach sich selbst. Dabei wird ein Spannungsfeld offensichtlich, zwischen ihren Eltern und ihrem Ex-Freund Mercer auf der einen Seite, und dem Leben und der Arbeit im Circle auf der anderen Seite. Die Mischung aus unerwünschter Hilfsbereitschaft und zunehmender kommunikativer Dysfunktion den Eltern und Mercer gegenüber, und Loyalität und Dankbarkeit dem Circle gegenüber, klaffen in ihrer Seele wie ein tiefer Riss. Es kommt nach wiederholtem Fehlverhalten und multiplen Vorwürfen mangelhafter Partizipationsbereitschaft, schließlich zum Bruch mit Ex und Familie und Mae lässt sich voll auf den Circle ein. So wird sie sukzessive zum Star im Circle, sie wird, wie zehntausende Politiker auch, transparent (durch permanentes Tragen einer Livecam mit Millionen Viewern und Followern). Sie hat eine Romanze mit einem geheimnisvollen Typ namens Kalden, den keiner im Circle zu kennen scheint, obwohl er einen wichtigen Job in der Firma haben muss (wie geht das eigentlich mit der totalen Kontrolle und Transparenz zusammen?). Dabei entwirft sie selbst Leitsätze wie:
ALLES PRIVATE IST DIEBSTAHL
TEILEN IST HEILEN
GEHEIMNISSE SIND LÜGEN
Der Wahnsinn in dem Thriller gipfelt in einem postdemokratischen Schauerspiel, das Colin Crouch‘ Thesen in einem plastischen Beispiel aufzeigt. Ein pseudodemokratisches Spektakel, in dem den Circlern vom Computeralgorithmus erzeugte Fragen gestellt werden. Die postdemokratische Tyrannei wird möglich durch eine Wahlpflicht (genau, wie in der DDR, nur schlimmer weil computergesteuert), die mit einer Zwangsregistrierung eines jeden Menschen beim Circle einhergeht. Einer börsennotierten Firma wohlgemerkt, die den kompletten Informationsfluss kontrolliert und manipuliert. Ich bin jetzt schon manchmal mit der Flut an News und Feeds aus den „sozialen“ Netzwerken überfordert. Wenn ihr erst lest, welche Flut auf Mae losgelassen wird – unfassbar. Letztlich ist es dem stressenden Arbeitspensum, dem permanenten NewsFeedCommentSmyleFrown DingsBums Gedöns, dem Zahlenfetisch der Binärdenker und dem andauernden Verfolgungsdruck vom „SeeChange“ Kameras geschuldet, dass Annie den Verstand verliert und im Koma liegt. Und das alles wird verkauft als Vision von der besseren Menschheit, von Vollkommenheit und von Perfektion. Wie bei den Borg. Und wer sich weigert dem Kollektiv beizutreten, stirbt eben. Auf die eine oder andere Art und Weise. Widerstand ist zwecklos!
Lesen? Unbedingt lesen…
wenn du, sagen wir mal, 14 Jahre oder älter bist, weil es in deiner Verantwortung liegen wird, den technischen Fortschritt voran zu treiben, ohne dabei menschliche Individualität zu zerstören. Ich habe in den unendlichen Weiten von Twitter den Anriss einer Rezension aufgeschnappt (finde nur den Link nicht mehr), mit dem latenten Vorwurf, es biedere sich als Schulbuch an und sei bisweilen etwas zu langatmig geschrieben. Dem würde ich hinzufügen, dass die gefühlte Langatmigkeit gut nachvollziehbar ist, hervorgerufen durch den orgienhaften LikeTeilenKommentierenBeobachtetseinRatingZwang, dem die Circler unterliegen. Dabei darf in der Schule durchaus vermittelt werden, dass es gelegentlich hilfreich ist, einen langen Atem zu haben. So richtig alte Menschen dürfen sich darüber freuen, dass sie den ganzen Horror nicht mehr erleben müssen.
Besonders zu empfehlen ist The Circle all jenen unter uns, die „nichts zu verbergen“ haben. Ich mag mir kaum vorstellen, dass ihr das nach der Lektüre nicht, zumindest vage, in Zweifel ziehen wollt. Nicht zuletzt gibt es trotz allem Horror auch komische Momente und Technikfans dürften an den vorgestellten Systemen und Innovationen ihre Freude haben.
Schreibe einen Kommentar